Injektionstherapie an der Lendenwirbelsäule

Schmerzen der Lendenwirbelsäule gehen in erster Linie von den beiden unteren lumbalen Bewegungssegmenten L4/L5 und L5/S1 aus. Hier finden sich einerseits die stärksten Form- und Funktionsstörungen aufgrund der besonderen Belastungssituation der unteren Lendenwirbelsäule, andererseits liegen Spinalnerven mit ihren abgehenden Ästen in unmittelbarer Nähe. Mit einbezogen in das Schmerzgeschehen sind in der Regel die Kreuzdarmbeinfugen, die funktionell zu den unteren lumbalen Bewegungssegmenten gehören und über den Ramus dorsalis der Wurzel S1 auch in neurologischer Verbindung stehen. Die besondere topografische Beziehung des muskuloskelettalen Systems mit dem Nervensystem in dieser Region sind nicht nur für Schmerztherapeuten, sondern auch für Chirurgen von besonderer Bedeutung.

Spezielle Neuroanatomie der Lendenwirbelsäule (LWS)

Der lumbale Wirbelkanal ist ventral von Wirbelkörper und Bandscheibe und dorsal vom Ligamentum flavum und von den Wirbelbögen begrenzt. Lateral finden sich die Bogenwurzeln und die Foramina intervertebralia. Der Hohlraum stellt einen Zylinder dar, der mit jeder Rumpfbewegung Form- und Volumenschwankungen zeigt. Kyphosierung, d. h. Rumpfvorneigung, bedeutet Volumenvermehrung, Reklination, d.h. Rumpfrückneigung, bedeutet Einengung des lumbalen Wirbelkanals.

Den Inhalt des lumbalen Wirbelkanals bilden Duralsack, Nervenwurzeln und das peridurale Gewebe. Dieses besteht aus Venen und Fettgewebe, welche die Nervenwurzel umhüllen, so daß sie von den knöchernen Begrenzungen des Wirbelkanals, auch bei extremen Bewegungseinschlägen der LWS, geschont werden. Die Verschiebung zwischen dem Rückenmarksegment und dem entsprechenden Bewegungssegment an der Wirbelsäule ist im Lendenabschnitt am größten. Dadurch das sich das untere Ende des Rückenmarks mit seiner Spitze nur bis zum 1. bis 2. Lendenwirbelkörper streckt, die Spinalnerven aber weiter kaudal in ihrem zugehörigen Foramen intervertebrale aus dem Wirbelkanal austreten, verlaufen sie eine längere Strecke im Subarachnoidalraum. Hier befinden sie sich vorwiegend lateral, so daß bei medialer Lumbalpunktion und Myelografie sowie transduraler Diskuspunktion keine Verletzungen zu befürchten sind.

Paramediane Protrusionen und Prolapse können zu einer intrathekalen Kompression von Spinalnerven führen und tiefergelegene Wurzelsyndrome hervorrufen. Die Gesamtheit der langen kaudalen Spinalnerven, zusammen mit dem Filum terminale, dem Endfaden des Rückenmarks, der bis zum 2. Steißbeinwirbel reicht, nennt man Cauda equina.

Die Verlaufsrichtung der Nervenwurzel nach Verlassen des Duralsackes richtet sich nach der Höhe des Segmentes. Je weiter die Wurzel nach kaudal ziehen, um so spitzwinkliger ist ihr Abgang aus dem Duralsack. Dadurch finden sich in den lumbalen Bewegungssegmenten jeweils andere topografische Beziehungen zwischen Nervenwurzeln und Bandscheibe. Die Abgangsstelle der Wurzel L4 befindet sich in Höhe des Wirbelkörpers L3. Die Wurzel L5 verläßt den Durasack in Höhe der Unterkante des 4. Lendenwirbels und die Wurzel S1 an der Unterkante des 5. Lendenwirbelkörpers.

Ein Prolaps der Bandscheibe L4/L5 bedrängt in erster Linie die Wurzel L5. Die Wurzel L4 ist nur dann betroffen, wenn der Prolaps sehr massiv ist und sich nach lateral bzw. kranial verschiebt, denn die Wurzel L4 verläuft oberhalb der Zwischenwirbelscheibe L4/L5. Im Zwischenwirbelabschnitt L5/S1 können die Wurzeln S1 und L5 auch bei einem kleineren lateralen Prolaps gleichzeitig betroffen sein. Die Spinalnervenwurzel L5 liegt im oberen Abschnitt des Foramen intervertebrale, direkt den äußeren Lamellen der Zwischenwirbelscheibe auf. Der Spielraum der Wurzel L5 im Foramen intervertebrale L5/S1 ist sehr klein. Die lumbalen Nervenwurzeln werden nur in den beiden unteren Segmenten durch Bandscheiben tangiert. Hier ist die Gefahr einer bandscheibenbedingten Kompression am größten.

Von besonderem Interesse ist die foramino-artikuläre Region mit dem Austritt des Nervus spinalis aus dem Foramen intervertebrale und Aufzweigung in seine Endäste. Gleich nach seinem Austritt aus dem Foramen intervertebrale teilt sich der Nervus spinalis in einen kräftigen Ramus ventralis, einen etwas dünneren Ramus posterior (dorsalis) und in einen winzigen Ramus sinu-vertebralis. Der Ramus posterior teilt sich in einen Ramus lateralis, der zur Facetten hinzieht und in einen Ramus medialis, der zum Dornfortsatz hinzieht.

Der Ramus recurrens (Ramus meningeus, Ramus sinu-vertebralis) zieht durch das Foramen intervertebrale zurück in den Wirbelkanal und innerviert dort den rückwärtigen Anteil des Anulus fibrosus des hinteren Längsbandes sowie die Dura.

In der foramino-artikulären Region der unteren lumbalen Bewegungssegmente liegen die Spinalnerven mit ihren Abzweigungen, Muskeln und Gelenken sowie mit ihren Verbindungen dicht über den Ramus communicans zum Truncus sympathicus zusammen. . Nozizeptoren der Gelenkkapseln des hinteren Längsbandes und des Wirbelkörperperiosts liegen dicht neben afferenten Fasern verschiedener Nerven. Form- und Funktionsstörungen des muskulo-skelettalen Systems gegeben durch Bandscheibendegeneration, reaktiven Veränderungen der Gelenkkapsel und Wirbelkörperrandkanten, führen gleichzeitig zur Irritation der dort befindlichen Nozizeptoren und nach längerer Reizung der afferenten Fasern zu Neuralgien. Direkt und indirekt einbezogen ist die vegetative Reaktion über eine Reizung des Ramus communicans vom Ramus meningeus zum Truncus sympathicus und über den spinalen Reflexbogen der Nozizeption.

Der foramino-artikulären Region der unteren lumbalen Bewegungssegmente kommt eine besondere Bedeutung bei der Entstehung und Behandlung chronischer Kreuz- und Ischiasschmerzen zu. Es liegt nahe, die dicht beieinanderliegenden nozizeptiven neuralgischen Strukturen auch lokal, z. B. durch Infiltrationen, zu behandeln.