Therapeutische Lokalanästhesie (TLA)

Die therapeutische Lokalanästhesie (TLA) ist der wesentliche Teil der therapeutischen lokalen Injektionsbehandlung. Wenige Milliliter einer niedrig konzentrierten (0,5-1,5%) Lokalanästhesielösung reichen aus, um sensibilisierte Nozizeptoren und zu Nozizeptoren umgewandelte Nervenfasern auszuschalten. Man erreicht damit eine:

  • Schmerzreduktion
  • Herabsetzung der Nervenerregbarkeit
  • Lokale Durchblutungssteigerung

Lokalanästhetika führen nach Gewebsinfiltration zur reversiblen Ausschaltung der Nozizeptoren und der afferenten Fasern. Sie heben reversibel und lokal begrenzt die Erregbarkeit der schmerzvermittelnden, sensiblen Endorgane und das Leitungsvermögen der sensiblen Nervenfaseranteile auf. Da die Wirksamkeit der Lokalanästhetika mit einer Vergrößerung des Faserdurchmessers abnimmt, werden zuerst die sensiblen, und bei höherer Dosierung die motorischen Nervenfasern blockiert. Zielrichtung der therapeutischen Lokalanästhesie sind die sensiblen Nervenfasern. Lokalanästhetika setzen die Membranpermeabilität für Kationen herab, insbesondere für Natriumionen. Es kommt zu einer verringerten Membranpermeabilität mit verminderter Erregbarkeit.

Die Verwendung höherer Konzentrationen mit vollständiger Anästhesie und Paralyse ist für die lokale Infiltrationsbehandlung nicht erforderlich. Die Zielrichtung ist eine Herabsetzung der Erregbarkeit mit Heraufsetzen der Reizschwelle.

Die neurophysiologisch begründete Maßnahme der TLA besteht in der Zusammenhangstrennung zwischen Muskelspannung und Erregung der Nozizeptoren {Zimmermann, 1993). Ein Nozizeptoren- oder Nervenblock bringt entsprechend der Wirkungsdauer der eingesetzten Lokalanästhetika eine Schmerzreduktion, Herabsetzung der Nervenerregbarkeit und lokale Durchblutungssteigerung zwischen 3 und 8 Stunden. Erfahrungsgemäß hält die schmerzlindernde Wirkung länger an, als von der Wirkdauer des Lokalanästhetikums zu erwarten ist, insbesondere bei wiederholter Applikation. Der Zustand der verminderten Erregbarkeit hält an, so daß man mit einer Serie von 8-12 Infiltrationen an aufeinanderfolgenden Tagen eine Dauerwirkung erzielen kann.

Durch mehrmalige Infiltration eines Lokalanästhetikums in das Nozizeptorenfeld mit den abgehenden, afferenten Fasern kommt es zu einer Desensibilisierung der überaktiven, neuralen Elemente. Frequenz und Intensität der zur Schmerzwahrnehmung und motorischen bzw. vegetativen Reaktion geleiteten Erregungen lassen nach.

Wiederholte therapeutische lokale Anästhesie beugt dem Chronifizierungsprozeß von Schmerzen der Wirbelsäule vor.

Bei bereits eingetretener Chronifizierung wird der Circulus vitiosus, Fehlhaltung -Nervenirritation - Muskelverspannung und Schmerz von der neuralen Seite her unterbrochen.

Die Desensibilisierung von Nozizeptoren und afferenten Fasern mit Heraufsetzen der Reizschwelle führt dazu, daß der gleiche mechanische Reiz weniger Schmerzen verursacht. In dieser Phase muß die kausale Schmerztherapie mit entlastender Lagerung, Bewegungsübungen usw. einsetzen.?Bei chronischen Schmerzsyndromen der Stütz- und Bewegungsorgane kommt es durch wiederholte Anwendung der therapeutischen Lokalanästhesie im Bereich der Nozizeption und der afferenten Fasern zu einem Abbau der Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung (Zieglgänsberger, 1986). Mit den reaktiv-entzündlichen Veränderungen von Nerven und Nervenwurzeln, z. B. durch prolabiertes Bandscheibengewebe, hat sich in erster Linie die Arbeitsgruppe um Rydevik (1990) und Olmarker (1993) beschäftigt. Sie wiesen nach, daß eine definierte chronische Kompression entzündlich ödematöse Veränderungen der Nervenwurzel hervorruft, die durch Lidocaininjektion weitgehend verhindert werden kann (Yabuki, 1996). Die meisten Lokalanästhetika wirken auch vasodilatatorisch. Es kommt zu einer deutlichen Durchblutungsverbesserung im infiltrierten Bezirk. Allerdings werden hierdurch die Injektionsmittel auch schneller vom Blutsystem abtransportiert. Ein Zusatz von Vasokonstriktoren ist bei der lokalen Injektionsbehandlung von Beschwerden an der Wirbelsäule in den meisten Fällen nicht angezeigt. Unter den spezifischen Nebenwirkungen der Lokalanästhetika sind insbesondere kardiovaskuläre Komplikationen bei zu hohen Blutspiegeln und allergische Reaktionen zu erwähnen. Sie treten allerdings sehr selten auf.?Um erhöhte Blutspiegel zu vermeiden, verwendet man pro Injektionsbehandlung maximal 10 ml einer 0,5-1% -igen Lokalanästhesielösung. Durch ständiges Aspirieren sind intravasale Applikationen zu vermeiden. Folgende Mittel haben sich für die örtliche Injektionsbehandlung bewährt.

Bewährte Medikamente für die TLA sind:

  • Lidocain (0,5%) ist ein schnell und gleichzeitig anhaltend wirkendes Lokalanästhetikum.
  • Bupivacain (0,25%) wird bevorzugt als Langzeitanästhetikum eingesetzt. Es ist ein lipophiles Lokalanästhetikum, das beim Einsatz von Konzentrationen bis zu 0,25 % langdauernde Analgesien unter weitgehender Erhaltung der Motorik bewirkt.
  • Ropivacain (2mg/ml) ist das erste wirklich klar getestete Lokalanästhetikum. Sein Blockadeverhalten zeigt eine besonders günstige Gewichtung von sensorischer zu motorischer Wirkung.

Bei der lokalen Injektionsbehandlung im Rahmen der orthopädischen Schmerztherapie werden initial und im weiteren Verlauf immer wieder Steroide mitinfiltriert. Zielrichtung ist die entzündliche Begleitreaktion bei der Nozizeption und in der Umgebung der afferenten Fasern. Steroide neutralisieren schmerzproduzierend Prostaglandine und Leukotriene (Wehling, 1993).

Neben der antiphlogistischen haben die Steroide somit auch eine lokalanalgetische Wirkung. Bevorzugt werden Steroide mit hoher Rezeptoraffinität, wie z. B. Triamcinolon. Voraussetzung für eine effektive pharmakodynamische Wechselwirkung der Steroide mit den umschriebenen entzündlichen Prozessen ist eine ausreichend hohe Wirkstoffkonzentration in der unmittelbaren Umgebung der irritierten Strukturen. Eine allgemeine Medikation mit z. B. oral verabreichten Steroiden ist deswegen nicht Gegenstand der orthopädischen Schmerztherapie und findet nur in Ausnahmefällen Anwendung. Die Konzentration am Schmerzausgangspunkt sollte über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten bleiben. Gleichzeitig sollte durch eine möglichst geringe systemische Abflutung des Glucocorticoids die pharmakodynamische Belastung des Gesamtorganismus auf ein Minimum beschränkt bleiben. Diese Vorgaben lassen sich am besten durch Glucocorticoiddepotpräparationen in Form von Kristallsuspensionen verwirklichen. Zur Therapie akuter und chronischer Radikulo-pathien setzen wir deswegen vorwiegend Triamcinolondiacetat und Triamcinolonacetonit ein.

Unsere Untersuchungen (Barth, 1990) haben ergeben, daß bei lokaler Applikation von 5-10 mg dieser Steroide alle Steroidrezeptoren der umgebenden Gewebsstrukturen abgesättigt werden können. Bei 1-3maliger Applikation in dieser Form im Rahmen eines Behandlungszyklus eines Schmerzsyndromes sind wesentliche Nebenwirkungen, wie z. B. eine nachhaltige Suppression der körpereigenen Cortisolproduktion nicht zu erwarten. Mit allergischen Reaktionen auf Trägersubstanzen der Steroide und Lokalanästhetika ist grundsätzlich bei allen Medikamentapplikationen zu rechnen. Therapeutische lokale Injektionen werden an schmerzhafte Muskel- und Bandansätze sowie an verschiedene Orte des Bewegungssegmentes der Wirbelsäule appliziert. Indikation und Technik der einzelnen Injektionen finden sich im speziellen Teil.